Eine Frau, ausgestattet mit einem zeitgemäßen Quantum an weiblichem Selbstvertrauen, betritt ein Autohaus. Sie will einen neuen Wagen kaufen und hat sich bereits für eine Marke entschieden, beim Modell und der Motorisierung ist sie jedoch noch unschlüssig. Darum ist sie hier, sie möchte sich kompetent beraten lassen. Im Verkaufsraum befinden sich keine anderen Kunden, aber zwei Angestellte des Autohauses. Da ist ein älterer Herr, die Schläfen ein wenig grau, mit üppigem Bauchumfang und aufgesetztem Lächeln. Und da ist eine junge Frau, vielleicht 30 Jahre alt, die Haare lang und dunkel, mit schlanken Hüften und aufgesetztem Lächeln. An wen wird sich die potenzielle Kundin wenden?
Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wird fünf Minuten später eine junge Autoverkäuferin mangels Kundschaft eine Kaffeepause einlegen, während ihr Kollege versucht, einer Interessentin einen Wagen zu verkaufen. Er arbeitet schon lange im Autohaus, seine Motivationskurve zeigt einen stetigen Abwärtstrend und seinen beruflichen Ehrgeiz hat er längst gegen unverhohlene Gleichgültigkeit eingetauscht. Derweil hat die junge Frau mehrere Verkaufsschulungen besucht, ist fachlich besser ausgebildet und getrieben von ambitioniertem Tatendrang. Trotzdem entscheidet sich unsere Kundin dafür, sich vom Mann beraten zu lassen. Im jahrhundertelangen Kampf um Gleichberechtigung haben Frauen zwar einiges erreicht, vor allem in der jüngeren Vergangenheit, doch ins Autohaus haben sie es offensichtlich noch nicht geschafft, ebenso wenig ins Elektrofachgeschäft oder ins Baugewerbe. Dabei spielen Frauen beim Verkaufen von Autos durchaus eine Rolle, dies zeigt bereits der Besuch eines Automobilsalons, wo die Fahrzeugindustrie allzu gerne auf weibliche Rundungen als absatzfördernde Instrumente zurückzugreifen scheint.
Woran liegt es, dass selbst emanzipierte Frauen sich bei gewissen Themen lieber an Männer wenden? Ist es eine bewusste Entscheidung oder ein Überbleibsel aus glücklicherweise vergangenen Tagen, in welchen die weibliche Rolle in der Gesellschaft noch nach Manneskräften unterdrückt wurde? Ist das Autogewerbe einfach eine bisher noch nicht eingenommene Männerbastion, in der Frauen einerseits sexualisiert werden, ihnen andererseits aber die subjektive Entfaltung verwehrt bleibt? Ich weiß es nicht. Doch ich weiß, dass ich bei männlichen Krankenpflegern, Kindergärtnern und Floristen nicht selten verdutzt bin. Offensichtlich ist der Kopf zu sehr ein Gewohnheitstier, um der Gleichberechtigung vorbehaltlos Eintritt zu gewähren.

Dieser Text erschien als Kolumne im L-Magazin, Ausgabe 7.