Es ist früher Morgen, die Luft ist kalt und klar. Ein Polizeifahrzeug steht vor dem Altersheim und wirkt seltsam fremd, eingerahmt von der Kulisse des herrschaftlichen Gebäudes. Das Blitzgerät einer Kamera erhellt in sporadischen Abständen die Dunkelheit des erwachenden Tages.
Die Polizisten befinden sich seitlich des Hauses. Sie machen Notizen, nehmen Bilder auf, sammeln Gegenstände ein und unterhalten sich mit wenigen Worten, die in einer nahen Hecke hängenbleiben. Neben ihnen liegt ein Körper, kaum erkennbar in der Finsternis. Vielleicht ein Mann, vielleicht eine Frau, jedenfalls eher zierlich und klein. Man schrumpft, wenn man altert.
Über dem Körper hängt ein Balkon an der Fassade, eine Etage darunter ist ein Fenster angebracht. Beide sind nicht sehr weit vom Boden entfernt. Nicht weit genug für eine letzte Reise. Oder vielleicht doch. Ein anderes Fenster öffnet sich, eine Frau blickt nach unten und verschwindet gleich wieder im diffusen Licht ihres Zimmers. Ich frage mich, woran sie nun denkt.
Es wird heller, der Tag bricht an. Der Körper ist in eine Decke gehüllt, blau und rot gemustert. Ich kenne sie, die Decke. Es war meine Decke. Als Kind lag ich oft unter ihr verborgen im Bett und las Bücher im warmen Schein einer Taschenlampe. Ich glaubte, etwas Verbotenes zu tun, und mir gefielen die engen Grenzen aus Stoff. Irgendwann waren sie weg, die Grenzen, die Decke verschwand. Nun ist sie wieder da.
Damals, lesend im Bett, war er mir fremd, der Tod. Irgendwie ist er es auch heute noch. Dort im Altersheim ist er zweifellos häufig zu Besuch. Und heute hat er sich unter meine Decke gelegt. Kurze Zeit später ist er wieder verschwunden, und mit ihm der Körper. Zurück bleibt die Decke, die Erinnerung, zusammengenknüllt an der Hauswand.