Ein leerer Raum. Ein Raum, gefüllt mit Leere, erfüllt von Leere, bis in alle Ecken vollgestopft mit Leere, ein Raum also, der vor lauter Leere beinahe überquillt, dessen Leere so einnehmend und umfassend ist, dass kein Platz für etwas anderes ist, ein Raum, der keinen Raum lässt für etwas, das nicht Leere ist, der voll und ganz voller Leere ist, ein Raum, in dem sich die Leere ausbreitet und manifestiert, sich so unumstösslich ausdehnt, dass man tatsächlich feststellen kann, dass der Raum an und für sich leer ist, ein Raum voller Leere.
Ich trete in diesen leeren Raum. Schon diese Handlung beraubt ihn seiner absoluten Leere, mein Körper wird zum Störfaktor und Vernichter der uneingeschränkten Inhaltslosigkeit. Doch ich trage nicht nur meinen Leib in den Raum, sondern einen weiteren Schädling. Es ist ein Stuhl. Ein eher schmuckloser Vertreter seiner Gattung, aus hellem Holz gefertigt und auf die wesentlichen Eigenschaften derartiger Sitzgelegenheiten beschränkt. Man kann schnell erkennen, dass dieser Stuhl kein Designobjekt sein will, keine Kunst, kein Werk vollendeter Ästhetik. Die Funktionalität ist sein einziges Bestreben, er will tun, was Stühle hauptsächlich tun, nämlich einer Person die Möglichkeit bieten, eine sitzende Position einzunehmen. Diesem Zweck untergeordnet sind eine quadratische Sitzfläche, vier Beine mit ebenfalls quadratischem Profil, zwei Bretter, die als Rückenlehne dienen, sowie zwei Verstrebungen, welche die Bretter der Rückenlehne mit der Sitzfläche verbinden. Die korrekte Kombination dieser Teile ergibt einen zutiefst ehrlichen und aufrichtigen Stuhl, der nicht vorgibt, etwas anderes zu sein als ein Stuhl, sondern sich in seine Bestimmung fügt, einem Menschen das Sitzen zu ermöglichen.
An dieser Stelle sei anzumerken, dass Stühle von einer durchdringenden Betrübtheit erfasst werden, wenn ihre Dienste nicht in Anspruch genommen werden. Dieser Umstand ist bei zahlreichen Gegenständen festzustellen. Schubkarren sind traurig, wenn niemand sie schiebt. Fahrräder sind traurig, wenn niemand sie fährt. Scheren sind traurig, wenn sich niemand um sie schert. Trinkbecher sind traurig, wenn niemand aus ihnen trinkt. Und Stühle sind traurig, wenn niemand auf ihnen sitzt. Deshalb trage ich den Stuhl in die Mitte des vormals leeren Raumes, stelle ihn behutsam auf den Boden, rücke ihn leicht zurecht. Und setze mich hin, setze mich auf den Stuhl, auf seine Sitzfläche. Wenn er könnte, würde er lächeln, da bin ich mir sicher. Doch er kann nicht lächeln. Stühle haben keinen Mund, zumindest dieser Stuhl.
Ich sitze auf einem Stuhl, in einem Raum, der nur aufgrund der Präsenz des Stuhles und meiner Person nicht komplett von Leere durchdrungen ist. Natürlich fallen wir auf, der Stuhl und ich, fallen aus dem Rahmen, den der Raum der Leere bis anhin verliehen hat. In einem Raum, in welchem es nichts zu sehen gibt ausser einem Stuhl und einer Person, konzentriert sich die gesamte Aufmerksamkeit auf den Stuhl und die Person, vor allem, wenn die Person auf dem Stuhl sitzt, oder der Stuhl der Person das Sitzen ermöglicht, um die Perspektive des Stuhls zu berücksichtigen, was jedoch wenig Sinn macht, da ich nur über meine Perspektive berichten kann. Zwar könnte ich versuchen, mich in die Lage des Stuhles zu versetzen, doch dies würde zur Folge haben, dass ich mir selbst Sitzgelegenheit bin, dass ich auf mir selbst sitze, und das erscheint mir ein wenig unangenehm.
Während ich mich frage, ob es sich bei meinem Sitzen auf dem Stuhl um eine Tätigkeit oder einen Zustand handelt, registriere ich im Augenwinkel, in jenem Bereich des Blickfeldes, in welchem die Dinge nur noch schemenhaft in Erscheinung treten und die Klarheit der Formen einer diffusen Ansammlung von schwer zu definierenden Objekten weichen muss, eine Bewegung. Dies mutet seltsam an, da der Raum ja leer ist, mit Ausnahme des Stuhles, der aus totem Holz besteht und somit zu keiner Regung fähig sein dürfte, und meiner Person, die sich zwar bewegen kann, derartige Aktionen jedoch nicht im eigenen Blickfeld festzuhalten vermag. Um meiner Verwirrung Ausdruck zu verleihen und gleichzeitig meine Neugier zu stillen, bewege ich meinen Kopf und somit auch das Blickfeld in die Richtung, in welcher sich die besagte Begebenheit zugetragen hat.
Ich schätze die Zeit auf eine Minute, in der ich in jenen Teil des Raumes starre, in welchem sich die aufrührerische Bewegung ereignet hat, ohne eine Fortsetzung oder Wiederholung des Geschehnisses wahrzunehmen. Womöglich habe ich mich getäuscht, natürlich unbeabsichtigt, da es mir fern liegt, mich vorsätzlich selbst zu täuschen. Bevor ich jedoch den kurzfristig gefällten Entscheid, meinen Kopf wieder in die ursprüngliche und ungleich bequemere Position zu bringen, in die Tat umzusetzen vermag, stelle ich fest, was meine Aufmerksamkeit offenbar erregte. Eine Fliege. Ziemlich langsam und flügellahm flaniert sie über den Fussboden. Ich halte den Atem an, mein Blut drosselt die Geschwindigkeit, in der es durch meine Adern fliesst. Die Fliege verharrt, bleibt stehen. Und ich erkenne allmählich, was die Präsenz des Tieres in diesem Raum bedeutet.
Nicht nur ist die Zweisamkeit, die den Stuhl und mich verband und ein gewisses Mass an Vertrautheit und Intimität entstehen liess, mit einem Mal hinfällig. Es ist auch ziemlich offensichtlich, dass es sie nie gab, dass wir zu keinem Zeitpunkt die einzigen Bewohner unserer kleinen Welt waren. Immer war da diese Fliege. Das exklusive Dasein im Raum, das uns oder zumindest mich ein latentes Gefühl der Zusammengehörigkeit empfinden liess, es war nur eine Illusion, ein schöner Schein. Vom ersten Moment an bewegten wir uns auf einer Ebene des Seins, die parallel zur Realität verläuft, sich ihr jedoch niemals anzugleichen vermag. Diese Erkenntnis zerstört nicht nur das Bild, das ich seit dem Betreten des Raumes behutsam malte. Sie entreisst der seither verstrichenen Zeit jeglichen Anspruch auf Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Und sie lässt eine grauenvolle Befürchtung aufkeimen. Denn womöglich trifft meine primäre Annahme, die Fliege sei gemeinsam mit dem Stuhl und mir in den Raum gelangt, nicht den Kern. Vielleicht war sie schon vorher da. Und der Raum nicht leer, als ich ihn betrat.
Diese Möglichkeit könnte durchaus den Tatsachen entsprechen. Und sollte dies der Fall sein, wäre meine gesamte Existenz, wie ich sie seit dem Eintritt in den Raum erlebt und gelebt habe, eine Lüge. Die Revolution, die ich mit der Aufhebung der Leere im Raum zu verursachen glaubte, wäre nichtig, wäre niemals geschehen. Die Gedanken und Gefühle, die mich in diesem Raum erfüllten, hätten ihre Grundlage in einem Trugschluss und wären damit selbst trügerisch, unwahr, falsch. Mich auf die Form und Beschaffenheit, gar auf die Seele des Stuhls zu konzentrieren schien mir logisch, da er neben mir das einzige Objekt im Raum zu sein schien. Dass da eine Fliege war, die meine Aufmerksamkeit ebenfalls hätte gewinnen können, lässt mich rückblickend an der Echtheit meiner Empfindungen und Überlegungen zweifeln. Die Beziehung, die ich zum Stuhl aufbaute und mit dem Attribut der Vollkommenheit würdigte, mutet plötzlich wie Heuchelei an, ein Irrtum, ein Fehler. Ich spüre, wie sich meine anfängliche Verwirrung in Enttäuschung verwandelt und bald darauf in bitteren Groll mündet.
Ich breche den Stuhl nicht bloss entzwei, sondern in möglichst viele Teile. Das Holz splittert und zerspringt. Schliesslich halte ich ein relativ unversehrtes Stuhlbein in meinen Händen. Geduldig warte ich, bis sich die aufgewirbelten Staubkörner wieder gesetzt haben, und suche derweil den Fussboden nach der Fliege ab. Wohl durch mein eruptives Ungestüm ein wenig erschrocken, hat sie sich in eine Ecke des Raumes zurückgezogen. Ich schleiche mich behutsam an, meine Bewegungen sind ruhig und bedachtsam dosiert. Als ich die Entfernung zur Fliege in ausreichendem Masse verkürzt habe, schlage ich zu.
Ich verlasse den Raum. Zurück bleiben die Überreste eines Stuhles und einer Fliege, ebenso die Überreste einer Wirklichkeit, die es nie gab. Nur die Leere, die nehme ich mit.
