Manchmal sitzt man einfach da, ganz bei sich oder bei anderen, auf einem Hocker oder zwischen den Stühlen, rundum proben Menschen das Menschsein, und plötzlich ruht die Zeit. Die Welt knirscht und knattert und kommt dann zum Stillstand, dreht sich nicht mehr. Das alles währt nur einen Moment, und obschon niemand dessen Dauer genau ermessen könnte, ist man dennoch vertraut mit den kaum vorhandenen Ausmaßen dieses Moments, weiß um seine Flüchtigkeit.
Wenn die Welt knirscht und schließlich zum Stillstand kommt, wird alles möglich. Davor und danach versteckt sich all das, was zwischen der Realität und dem Ende des Unbegrenzten liegt, in den Märchenbüchern und Kindergeschichten, zwischen fliegenden Schlössern, redseligen Elfen und freundlichen Geistern. Doch in jenem Moment, unmittelbar nach dem Knirschen, ist Freiheit nicht nur ein Wort, sondern Wahrheit, eine spürbare Substanz. Wenn die Welt knirscht, fallen alle Grenzmauern. Doch sie werden sofort wieder aufgebaut, noch bevor die Muskeln in den Händen zucken können. Ein Moment ist ein unfairer Handel mit der Zeit; was man erhält, lässt sich nicht fassen, nicht greifen, es rinnt haltlos durch die Finger.
Das Verharren und Erstarren der Welt geschieht ohne Vorwarnung, da ist nur das Knirschen, dann folgt der Moment. Vielleicht die Entdeckung der Reinheit in Kinderaugen. Oder das Akzeptieren der eigenen Kleinheit im gewaltigen Konstrukt der Natur. Oder der haltlose und betörende Taumel zwischen dem emotionalen Erkennen von Liebe und dem kognitiven Einordnen und Definieren. Oder die Geburt von Tränen der Rührung beim Schauen eines Films, bevor man den ersten Gedanken daran verschwendet, ob man überhaupt weinen soll oder darf. Einen Augenblick lang hält die Zeit den Atem an. Der Nachhall des Knirschens hängt in der Luft. Dann stolpert der Sekundenzeiger weiter, als wäre nichts passiert.
Tatsächlich ist auch nichts geschehen. Vielleicht ist gerade das entscheidend. Es war nur ein Moment, ein Moment der Wahrhaftigkeit und Echtheit, ein Moment ohne Kram und Ballast. Und womöglich ist es wichtig, dass die Welt jeweils nur einen derartigen Moment lang stillzustehen wagt. Würde sie länger verharren, wäre sie zweifellos dem Untergang geweiht. Noch früher als sonst.

Was für ein wunderbarer Text. Diese seltenen Augenblicke kann man kognitiv eben eigentlich nicht (be)greifen, aber du schaffst es sogar, sie mit wenigen Worten so zu beschreiben, dass man nur erstaunt nicken kann.
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Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte und fürs erstaunte Nicken…
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