«Bettet mich zu den Toten.»
Bettet mich zu den Toten?
«Ja, bettet mich zu den Toten. Obwohl: Das ist eine Übertreibung, eine wahrscheinlich unnötige dazu. Mir ist wohl gar nicht danach, zu den Toten gebettet zu werden. Was soll ich da? Die Toten sind noch stiller als ich. Sie sind eine garstige Gesellschaft. Man kann nicht einmal Wein trinken mit ihnen. Sie sind kalt, in jeder Hinsicht. Und ich friere doch so ungern.»
Aber warum sagst du ‹Bettet mich zu den Toten›?
«Dieser Satz, er ist in meinem Kopf aufgetaucht. Ich habe ihn nicht gelesen, ich habe ihn nicht gehört, er war einfach da. Ich maße mir nicht an, einen Satz ausgesprochen zu haben, den noch niemand vor mir geschrieben oder gesagt hat. Aber wenn ich den Satz bei Google eingebe, mit Anführungs- und Schlusszeichen, die ja bedeuten, dass der genaue Wortlaut gesucht werden soll, dann liefert die Suchmaschine kein einziges Suchergebnis. In der Bibel gibt es offenbar ähnlich lautende Sätze, doch von all den Büchern, die ich nicht gelesen habe, ist die Bibel wohl jenes, das ich mit dem größten Enthusiasmus nicht gelesen habe.»
Bettet mich zu den Toten – das klingt so dramatisch.
«Ja, es klingt dramatisch. Es klingt nach ‹ennui›, nach Verdruss, sogar nach Lebensmüdigkeit, nach Fatalismus. Doch es klingt auch nach einem Ankommen, nach dem Erreichen eines Endpunkts, der den Gegenpart zum Startpunkt übernimmt, zur Geburt. In jedem Fall klingt es nach einer Entscheidung, nach einem bewussten Entschluss. Man kann an viele Orte gebettet werden. In die Matratzenabteilung bei IKEA. Auf ein Boxspringbett in einem entrückten Boutique-Hotel in der französischen Provinz. Auf ein Nagelbrett. Neben die Frau des Lebens, den Mann des Lebens, eine verwandte Seele. Aber nein, man wünscht, zu den Toten gebettet zu werden. Das muss man erst einmal wollen. Danach sehnt man sich nicht einfach so. Das hat Gründe.»
Was sind deine Gründe?
«Tatsächlich frage ich mich, warum ich wohl zu den Toten gebettet werden möchte, doch die einzige Antwort, die sich greifen lässt, ist ein verhaltenes Schulterzucken. Es dürfte auch ein energisches Schulterzucken sein, doch die Muskeln sind verspannt, sind verhärtet, sie sind es schon so lange. Wenn sogar das Schulterzucken schmerzt, liegt es vielleicht nahe oder zumindest näher, sich zu den Toten betten lassen zu wollen.»
Warum würde man das wollen? Gibt es keine Alternative?
«Zu den Toten gebettet zu werden, ist wahrlich eine grausige Vorstellung. Hierzulande und auch anderszulande wird man nur zu den Toten gebettet, wenn man selbst besagten Zustand des Nicht-mehr-Lebens erreicht hat. Man ist am Ende der Zeit angelangt, und dort, am Ende der Zeit, warten nur noch Würmer und kleine Steine und Ameisen und nasse Erde. So weit bin ich nicht. Noch nicht. Ich bin ja keiner der Toten, zu denen ich gebettet werden würde. Dennoch sage ich es. Bettet mich zu den Toten.»
Ohne zu wissen, warum du es sagst?
«Ohne zu wissen, warum ich es sage, ja, und ohne zu wissen, weshalb genau diese Worte sich in meinen Kopf geschlichen haben. Ich habe sie mir nicht erdacht. Ich habe sie mir nicht gewünscht. Sie sind einfach aufgetaucht. Aber eigentlich spielt es keine Rolle. Es ist nur ein Satz.»
Aber es ist kein banaler Satz.
«Ja, es ist kein banaler Satz. Es ist ein gewichtiger Satz. Ein schwerer Satz. Er trägt die gesamte Lebensmüdigkeit in sich.»
Bist du denn lebensmüde?
«Häufig bin ich müde. Häufig mag ich nicht mehr. Doch dass ich des Lebens vollends müde bin, bezweifle ich.»
Aber sicher bist du nicht.
«Sicher bin ich nicht, nein.»
Und was willst du jetzt tun?
«Ich denke, ich lege mich ein wenig hin.»
Zu den Toten?
«Zunächst mal aufs Sofa.»

Zunächst mal aufs Sofa klingt doch gut.
Was will man auch von den Toten? Sie liegen und schweigen…
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Ja, eine allzu unterhaltsame Gesellschaft sind die Toten wahrlich nicht… Vielen Dank dir fürs Lesen!
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Das sehe ich auch so *g*
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so ein wunderbares Sofa in märchenhafter Umgebung könnte mir auch gefallen!
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Ist aber kalt in der Nacht, und das Sofa riecht etwas streng.
Vielen Dank fürs Lesen…
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Verstandeskraft und Fantasie…
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