Wenn sie die Augen schließt, könnte es sein, dass alles verschwindet. Wenn sie die Augen wieder öffnet, ist alles noch da, ist alles noch gleich wie zuvor. Da ist der Parkettboden. Da ist der breite Einbauschrank, hinter dessen Türen sich die Relikte ihrer Vergangenheit sammeln. Da ist das Bild, das eine Freundin gemalt hat, und das Bild sieht sie jeden Tag, aber die Freundin nur noch sporadisch. Da ist die große Vase mit den getrockneten Blumen. Und da sind Staubpartikel, unzählige Staubpartikel. Sie sind nicht schwerer als Luft, schweben nahezu still im Sonnenlicht, das durch das Fenster fällt. Irgendjemand hat ihr mal gesagt, dass man nach dem Tod zu Staub werde, du und ich und alle anderen werden zu Staub, hat die Person erklärt, und vielleicht war es ihre Mutter, die dies gesagt hat, oder ihr Großvater oder jemand aus dem Fernsehen; sie weiß es nicht mehr, und sie weiß nicht, ob sie es damals geglaubt hat. Sie weiß nicht einmal, ob sie es immer noch glaubt. Es wäre ihr nicht recht, wenn ein toter Mensch durch ihr Zimmer schweben würde.
Was hingegen durch ihr Zimmer schwebt, ist die Stimme eines Menschen, eines nach wie vor lebenden Menschen, die Stimme von Wayne Coyne, und die Stimme von Wayne Coyne, die körperlos im Raum hängt, fragt, ob ihr klar sei, dass sie das schönste Gesicht hat. Sie weiß, dass diese Frage nicht ihr gilt. Obwohl sie in diesem Moment die einzige Person ist, welche die Frage hört, meint der Mann, der sie stellt, nicht sie. Die Frage, ob ihr klar sei, dass sie das schönste Gesicht hat, ist die vielleicht schönste Frage, die sie je gehört hat, doch sie kennt niemanden, der ihr diese Frage stellen könnte, zumindest kommt ihr niemand in den Sinn. Sie legt ihre Fingerspitzen an die Wange, spürt die Haut unter der Haut. So fühlt sich also ihr Gesicht an.
Während die Staubpartikel unvermindert schwerelos wirken, fragt Wayne Coyne, ob ihr klar sei, dass jeder Mensch, den sie kennt, eines Tages sterben wird. Sie schluckt leer, und ein leichtes Stechen im Hals lässt sie zusammenzucken. Sie starrt auf das Bild an der Wand, auf die Trennlinien zwischen den einzelnen Farben, die Konturen, die abstrakten Formen. Sie hat keine Ahnung, was das Bild darstellen soll, hat ihre Freundin nie danach gefragt. Die einzige Bedeutung, die das Bild hat, ist die Bedeutung, die sie ihm gibt.
Jeder Mensch, den sie kennt, wird eines Tages sterben. Das klingt so logisch, so einleuchtend, so unmissverständlich, so wahr. Zugleich klingt es so schrecklich, so beängstigend, so frustrierend, so kalt. Und es nicht zuletzt klingt es so relativierend. So beruhigend. So tröstlich. Jeder Mensch, den sie kennt, wird eines Tages sterben. Und jeder Mensch, den sie nicht kennt, ebenfalls. Doch das ist ihr egal. Die Stimme von Wayne Coyne fragt, nein, die Stimme von Wayne Coyne sagt, dass sie wisse, dass die Sonne nicht untergeht. Dass es nur eine Illusion ist, verursacht durch die Welt, die sich dreht. Und dann, nachdem sie ein weiteres Mal gefragt hat, ob ihr klar sei, dass sie das schönste Gesicht hat, schweigt die Stimme von Wayne Coyne. Die Staubpartikel hängen still in der Luft, fangen das Sonnenlicht ein, jedenfalls so lange, bis die Sonne untergeht. Oder nein, eben nicht. Sondern so lange, bis die Welt sich genügend weit gedreht hat.
