Wenn die Sonne in ihr Gesicht scheint, schliesst sie die Augen, legt den Kopf in den Nacken, spürt die Wärme auf der Haut, sieht kleine Punkte vor den geschlossenen Lidern tanzen, und dann, in diesem Moment, denkt sie, dass es doch so einfach sein könnte, alles könnte so einfach sein, die Widerhaken in der Zeit könnten verschwinden, die kleinen Risse im Gewebe könnten sich schliessen, die Krusten könnten aufbrechen und abfallen, die dunklen Flecken könnten verblassen, die Gewissensbisswunden könnten verheilen, die unweigerlichen Irritationen könnten sich auflösen, der Druck könnte entweichen, alles könnte so einfach sein, und sie selbst, sie könnte einatmen und ausatmen ohne jegliches Gewicht auf der Brust, könnte dem Rhythmus ihres Herzschlags vertrauen, könnte geradezu allen Funktionen ihres Körpers vertrauen, auch ihrem Körper an sich, sie könnte tanzen, nur schon in Gedanken, sie könnte klettern und tauchen, wie es ihr beliebte, könnte den Rücken gerade halten, ohne sich stets dazu zwingen zu müssen, könnte ihre Hand vor Augen halten, ohne sie zittern zu sehen, könnte vergessen, woran sie sich nicht erinnern mag, könnte sich erinnern an das, was in Vergessenheit geriet, könnte sehen, was ihr bisher verborgen blieb, könnte erkennen, was Erkenntnis bringen würde, alles könnte so einfach sein, das Aufstehen am Morgen, das Einschlafen am Abend, das Fokussieren, wenn es der Konzentration bedürfte, der weite Blickwinkel, wenn neue Perspektiven gefragt wären, das Zuhören, wenn die Welt von der Liebe erzählt, das Lauschen, wenn es in den Winkeln der Zeit geheimnisvoll flüstert, das Hinzufügen von essenzieller Substanz, das Weglassen von überflüssigem Ballast, das Hinwenden zum Wesentlichen, das Negieren von unnötigen Bürden, alles könnte so einfach sein, das grosse Ganze und all das Kleine, sie könnte ihre Angst vor Hunden ablegen, würde einsehen können, dass ihr schon zahlreiche Menschen Verletzungen zugefügt hatten, aber noch nie ein Hund, und sie könnte wieder Gitarre spielen, könnte neue Saiten aufziehen und sie zum Klingen bringen, könnte singen und sich ihre Stimme zur Freundin machen, könnte sich versöhnen mit dem inneren Kind und all den anderen Facetten ihrer Persönlichkeit, könnte in kalte Seen springen und Peperoncini essen, könnte allein im leeren Kinosaal sitzen, könnte Tränen lachen und Tränen weinen, könnte sich fallen lassen, ohne hinzufallen, könnte weniger hadern und auch weniger mit dem Hadern hadern, könnte weniger Konjunktiv wagen, alles könnte so einfach sein, und auch sie selbst könnte so einfach sein, könnte einfach sein, könnte es geniessen, wenn die Sonne in ihr Gesicht scheint, doch die Sonne blendet, sie sieht nicht klar, also steht sie auf, geht zum Fenster und schliesst die Jalousien.

Das könnte vielleicht ein Meisterwerk sein… 🙂
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Das könnte ein wunderbarer Kommentar sein. Und ist es auch. Danke!
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