Anita macht ein Selfie, lädt es hoch und prüft jede Minute, ob jemand ihr ein Herz schenkt.
Björn überlegt kurz, ob er den Geldbeutel, den er im Zug gefunden hat, zum Fundbüro bringen soll, und steckt ihn dann ein.
Carla stolpert über eine Falte des Teppichs im Korridor des Hotels und blickt rasch nach allen Seiten, um sich zu vergewissern, dass niemand sie gesehen hat.
Dragan sieht den Zorn in den Augen seines Vaters und denkt an die langen, weiten und dicken Kleider seiner Großmutter in Golubinjak.
Erika kann ihren Namen klar und deutlich und schwarz auf weiß lesen, begreift aber noch immer nicht, dass sie den Projektwettbewerb für sich entscheiden konnte.
Felix sieht seine beste Freundin von der Seite an, während sie in eine andere Richtung blickt, und überlegt, ob und wie er ihr sagen soll, wie schön sie ist.
Gregor steht vor der Apothekerin und sagt leise den Namen der Hämorrhoiden-Salbe und fügt hastig an, dass die Salbe für seine alte Mutter sei.
Helga hört, wie jemand ihren Namen ruft, doch es ist niemand zu sehen.
Ida schiebt den Ehering über die Haut ihres Fingers und bis über die Fingerkuppe, hin und her, als ließe sich in dieser Bewegung eine Antwort finden.
Josef öffnet ein privates Fenster im Browser und tippt wie so häufig die Internet-Adresse ein.
Katrin lässt ihren Daumen über die dunkelrote Linie auf ihrem Handgelenk gleiten.
Lisa betrachtet das Schnittbild der Magnetresonanztomographie und kann den Schatten auf der Lunge, von dem der Arzt spricht, kaum erkennen, geschweige denn einordnen.
Martin sagt seiner Frau, dass er sie liebt, ohne sich zu fragen, ob er es tut.
Nora betrachtet die Digitalanzeige der Waage und bemerkt, wie die Ziffern an den Kanten unscharf werden.
Otto starrt auf den Namen, der auf dem Display angezeigt wird, und lässt das klingelnde und vibrierende Smartphone unberührt auf dem Tisch liegen.
Pia erklärt ihrem Vater ein weiteres Mal, wie sie heißt und dass sie seine Tochter ist.
Quentin legt eine Platte von Melanie De Biasio auf und sehnt sich nach einem Menschen, mit dem er die Musik teilen könnte.
Rudolf schreibt sein Testament von Hand und stellt sich die Gesichter vor, wenn es verlesen wird.
Stephanie versteht nicht, warum der Polizist fragt, ob sie sich denn nicht gewehrt habe.
Theo sieht dem seltsam geformten Objekt nach und denkt, dass noch gar nichts passiert ist, solange der Stein noch fliegt.
Ulrich steht am Brückengeländer, lässt den kühlen Wind an seinen Haaren zerren und schätzt, wie viele Meter es nach unten geht.
Veronika sitzt mit einer Freundin in der Sauna und betrachtet ihre vollen Brüste und wundert sich, ob sie sich ähnlich anfühlen wie ihre eigenen.
Walter drückt das kleine Tier unter die Wasseroberfläche, bis es sich nicht mehr bewegt.
Xenia spürt, wie das Herz in ihrem Hals pulsiert.
Yvan blickt zum Himmel, obwohl er überzeugt ist, dass seine Mutter nicht dort ist.
Zaza hört, wie ihr Mann sagt, dass er sie liebt, ohne sich zu fragen, ob er es tut.
***
Teil 1 ist hier: Sechsundzwanzig Geschichten.

Schöne Idee, das Konzept ließe sich beliebig auf alle Bürger ausweiten, nur wären dann noch so einige Teile zu schreiben
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Na, dann hab ich ja noch einiges vor… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen!
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