Diese Frau ist eine schöne Frau, obwohl sie schon etwas älter ist, und dieses «obwohl» ist ein Missklang, denn Alter und Schönheit sollten keine Widersprüche sein, doch diese Frau wirkt, als wäre das Alter in ihren eigenen Augen ein Widerspruch, ein Widerspruch gegen ihre Schönheit, gegen ihr Frausein, gegen ihr Leben.
Diese Frau ist eine schöne Frau ist eine widersprüchliche Frau, und sie sieht aus, als hätte man ihr schon zu häufig gesagt, sie sei schön, oder zu selten, und in ihr scheint eine Traurigkeit zu wohnen, die sich über die Muskeln ausbreitet, das ganze Gesicht erzählt eine Geschichte von Resignation und Entkräftung, eine Geschichte des Verblassens und Verlassens.
Diese Frau ist eine schöne Frau ist eine widersprüchliche Frau ist eine elegante Frau, sie trägt einen eleganten Hut, und die Frau für sich allein ist elegant, auch der Hut für sich allein ist elegant, doch wie die elegante Frau den eleganten Hut trägt, passt es nicht, der Hut ist zu klein für den Kopf, oder der Kopf zu gross für den Hut, und wenn man den Linien und Konturen von unten her folgt, ist der Kopf der Frau schon beinahe zu Ende, als plötzlich der Hut ins Gefüge eindringt, wie ein plump aufgesetzter Fremdkörper, oder aber der Hut ist richtig und der Körper der Frau fremd, jedenfalls passen Frau und Hut nicht zusammen, und wenn etwas nicht zusammenpasst, verliert es jede Schönheit, und das ist wohl nicht nur im Kontext von Menschen und Kleidungsstücken der Fall, sondern auch bei Menschen untereinander, bei Paaren, in Beziehungen, in Freundschaften, in der Politik, obwohl, in der Politik ist Schönheit rar.
Diese Frau ist eine schöne Frau ist eine widersprüchliche Frau ist eine elegante Frau ist eine stille Frau, sie sitzt auf einem Stuhl an einem Tisch in einem Café in einer Stadt und klammert ihre Finger an den Stiel eines Weissweinglases, das nahezu leer ist, und es geht längst nicht mehr um halbvoll oder halbleer, es geht nur noch darum, was am Ende übrig bleibt, und sie trinkt den letzten Schluck aus und stellt das Glas wieder hin.
Diese Frau ist eine schöne Frau ist eine widersprüchliche Frau ist eine elegante Frau ist eine stille Frau ist eine leere Frau, so leer wie ihr Weinglas, und sie sitzt auf einem Stuhl und neben diesem Stuhl steht ein weiterer Stuhl, ein leerer Stuhl, so leer wie diese Frau, so leer wie ihr Weinglas, und hin und wieder schaut die Frau auf den leeren Stuhl, betrachtet die Rückenlehne, an die sich kein Rücken lehnt, und wenn sie auf den leeren Stuhl blickt, werden ihre Augen zu Glas, und wenn sie dann wieder wegblickt, blinzelt sie häufiger als zuvor.
Diese Frau ist eine schöne Frau ist eine widersprüchliche Frau ist eine elegante Frau ist eine stille Frau ist eine leere Frau ist eine auffällige Frau, und der Kellner schaut sie an und wieder weg, an und wieder weg, und schliesslich tritt er zu ihr hin und fragt, ob er ihr noch etwas bringen könne, und sie zeigt auf das leere Glas und murmelt etwas Unverständliches, doch der Kellner versteht, er nickt, und die Frau nickt zurück und lächelt, ein Lächeln, das man lächelt, wenn es nichts zu lächeln gibt, und der Kellner entfernt sich, geht hinter den Tresen, und die Frau sieht ihm nach, wie man einem vorüberfahrenden Auto nachsieht.
Diese Frau ist eine schöne Frau ist eine widersprüchliche Frau ist eine elegante Frau ist eine stille Frau ist eine leere Frau ist eine auffällige Frau ist eine müde Frau, sie ist eine Figur in einem Spiel, in dem es keine Gewinnerinnen gibt, keine Sieger, und sie betrachtet die Finger ihrer Hand, beugt die Gelenke, testet deren Funktion, und einen Moment lang ballt sie eine Faust, doch der Moment geht vorüber.
Diese Frau ist eine schöne Frau ist eine widersprüchliche Frau ist eine elegante Frau ist eine stille Frau ist eine leere Frau ist eine auffällige Frau ist eine müde Frau ist eine Frau mit Hut, doch plötzlich, nahezu hastig, nimmt sie den Hut ab und legt ihn auf den Stuhl neben ihrem Stuhl, und dieser Stuhl, er ist nun nicht mehr leer, der Hut und der Kopf sind nicht mehr unpassend, der Hut ist nicht mehr zu klein für den Kopf und der Kopf ist nicht mehr zu gross für den Hut, alles hat sich verändert, nein, nichts hat sich verändert, da liegt lediglich ein eleganter Hut auf einem Stuhl, und auf einem anderen Stuhl sitzt eine elegante Frau, und diese Frau ist eine schöne Frau.
![](https://disputnik.com/wp-content/uploads/2023/09/20230913_1.jpg?w=1024)
Ich lass mich beim Schreiben gerne von einem Bild inspirieren und musste daher zuerst auch einmal Deinen Text vom Bild lösen. Ich finde beide Frauen schön, aber vor allem die vom Text, die wohl gerade darum schön ist, weil sie eben all das ist, was sie ist. Danke für den inspirieren Blick!
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Und ich danke dir herzlich fürs Lesen und Hinschauen und für deine Worte!
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Nun, ohne unmäßig klingen zu wollen, so muß ich doch auf diese Stelle im Beitrag hinweisen: „wenn etwas nicht zusammenpasst, verliert es jede Schönheit“, die wohl auf den Beitrag selber anwendbar ist, schließlich paßt das Beitragsbild nicht zu der in ihm beschriebenen Frau (kein Hut, kein Wasserglas usw.), während das Geschrieben doch bis zu der Stelle den Eindruck macht, als handelte es sich bei jenem Bild um seine Vorlage.
Ferner bin ich mir leider nicht sicher, was ich – schon rein grammatikalisch – von der immer längeren ’seriellen‘ Reihung des Frau-Satzes (Diese Frau ist eine x Frau ist eine y Frau …) halten soll. Die letztliche Aussage wird dadurch jedenfalls, finde ich, nicht unbedingt klarer!
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Nun, das Bild war nicht die Vorlage des Textes, sondern lediglich ein Versuch, den Beitrag zu illustrieren. Und bei der anwachsenden Reihung zum Anfang der Abschnitte handelt es sich eher um eine Sprachspielerei als um ein grammatikalisch korrektes und sinnstiftendes Element. Für deine wie immer bereichernde Rückmeldung bin ich dir aber sehr dankbar…
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Ja, wie gesagt, ich wollte lediglich darauf hinweisen, daß zumindest meinerseits der Eindruck erstand, daß hier Bildgeschichte geschrieben worden wäre, was sich dann, freilich, als Täuschung erwies. Das sind vermutlich die Gefahren, die gewisse „Sprachspielerei[en]“ einfach mit sich bringen!
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Ja, da hast du wohl recht… Vielen Dank dir…
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Ja, das ist eine schöne Frau …
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