Irgendetwas riecht wie ein nasser Hund, ein toter nasser Hund, und sie schaut sich um, schaut nach links und nach rechts und hinter sich, doch da liegt nirgends ein toter nasser Hund, auch kein anderes verendetes Tier, sie ist ganz allein, allein mit ihrem Weinglas, und sie führt ihre Nase zum Glas und das Glas zur Nase, atmet tief ein und ist erleichtert, dass der Geruch nach totem nassem Hund nicht aus dem Weinglas kommt, denn der Wein war teuer, viel teurer als üblich, es ist ein besonderer Wein, denn es ist ein besonderer Tag, ein besonderer Moment in ihrem Leben, schließlich hat sie endlich eine Skulptur verkauft, zum erstem Mal nach vier oder fünf Jahren, so lange verbringt sie ihre freien Stunden schon mit der Fertigung von Skulpturen, arbeitet meistens mit Draht und Papier und Kleister, lässt dabei menschenähnliche Wesen entstehen, die an die schlanken Figuren von Giacometti erinnern, spindeldürre Geschöpfe, die stets ein wenig traurig aussehen, obwohl sie die Gesichter nur in groben Formen ausarbeitet, es sind unglückliche Figuren, die durch die Welt schreiten, als würden sie gar nicht dazugehören, als wären sie nur Randnotizen, nirgends zu Hause, nirgends von Wert, und eben eine solche Figur hat sie verkaufen können, für einen relativ kleinen Betrag, aber immerhin, ein Erfolgserlebnis, und sie will es feiern, darum der Wein, der eben ein wenig mehr gekostet hat als die Weine aus dem Discounter, die sie sonst trinkt, viel zu häufig und zu viel trinkt, und vielleicht hätte sie Champagner kaufen sollen, denn der teure Wein, er schmeckt nicht wirklich anders als die billigen Weine, darum wirkt das Trinken des teuren Weines auch nicht wirklich anders als das Trinken der billigen Weine, der Zelebrationseffekt bleibt aus, und wahrscheinlich wäre Champagner wohl tatsächlich das bessere Zelebrationsgetränk gewesen, aber sie mag Champagner nicht, ganz und gar nicht, mag weder den Geschmack noch das Prickeln, und es würde wenig Sinn machen, ein schönes und wichtiges Erlebnis mit einem Getränk zu feiern, das in ihr ausschließlich negative Gefühle auslöst, darum hat sie den teuren Wein gekauft und ist ein wenig enttäuscht, dass er nicht anders schmeckt als der billige Wein, doch vor allem ist sie irritiert von dem Geruch nach totem nassem Hund, er stört, er drängt sich vor, drängt sich in den Mittelpunkt, wie der Wasserfleck auf dem Holztisch, der ja nur einen kleinen Teil der Tischplatte ausmacht, aber dennoch das ganze Bild bestimmt, und sie stellt das Weinglas direkt auf den Wasserfleck, und der Wasserfleck verschwindet, ist vorübergehend nicht mehr da, doch sie weiß, dass er existiert, dass er untrennbar mit der Tischplatte verbunden ist, und grundsätzlich könnte sie das Weinglas einfach dort stehen lassen, dann wäre der Wasserfleck zumindest nicht sichtbar, doch solange das Glas auf dem Tisch stünde, könnte sie den Wein nicht trinken, und der Wein, er hilft dabei, den Wasserfleck zu akzeptieren, mit ihm umzugehen, also hebt sie das Glas wieder hoch und trinkt einen Schluck, und während der Wein ihre Kehle hinunterrinnt, denkt sie, dass er eigentlich immer da ist, der Duft von toten nassen Hunden, dass sie ihn lediglich nicht immer wahrnimmt, ihn ausklammert, vor allem dann, wenn sie Skulpturen fertigt, denn dann riecht es nach feuchtem Papier, nach Kleister, nach etwas Lebendigem, und der tote nasse Hund, er ist in diesem Momenten wohl unterwegs, draußen vielleicht, irgendwo, wo sein Geruch sich verflüchtigt, und dann vergisst sie ihn, verdrängt ihn einfach aus ihrem Bewusstsein, aber er kommt zurück, der tote nasse Hund, er kommt immer wieder zurück, und vielleicht ist sie dann im ersten Moment irritiert, dass es nach totem nassem Hund riecht, bis sie sich dann wieder erinnert.

Mir scheint, daß „I Had a Black Dog“ von Matthew Johnstone vielleicht die (oder zumindest eine) Inspiration für diesen langen, ein ganzes Lebensgefühl umschlingenden Satz geliefert haben könnte. Kann das sein?
Ein symbolreicher Text, der das Lesen und Nachdenken lohnt!
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Der schwarze Hund (eher jener von Churchill und aktuell auch von Arlo Parks als jener von Johnstone) hat wohl tatsächlich um die Ecke gelugt, ja…
Vielen Dank dir fürs Lesen und Nachdenken!
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Irgendwie atemlos und beklemmend, dieser eine Satz. Toll umgesetzte Stimmung.
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Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte; sie freuen mich sehr! Herzliche Grüsse…
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