Sie lassen Steine hüpfen. Einen nach dem anderen schleudern sie auf den See hinaus, immer abwechselnd. Manche hüpfen fünf, sechs, sogar sieben Mal. Andere wiederum versinken beim ersten Mal mit einem banalen Plopp im Wasser. Der junge Mann hat den Eindruck, dass seine Steine meistens häufiger hüpfen als jene seines Freundes. Er fühlt sich unwohl deswegen, seltsam beschämt. Also gibt er sich absichtlich weniger Mühe und wirft die Steine weniger flach.
Vor einigen Tagen hatte der junge Mann seinem Freund erzählt, dass dessen ehemalige Freundin, die sich nur wenige Tage zuvor von ihm getrennt hatte, nun seine Freundin war. Es sei eben einfach irgendwie passiert, beteuerte der junge Mann. Sie hätten sich keine Gedanken gemacht. Er erinnert sich daran, wie er während des Redens mit den Schultern gezuckt hatte, immer wieder. Das Schulterzucken damals, es war wohl eine Lüge, irgendwie.
Sie hatte unangemeldet an seiner Tür geklingelt. Die Wohnung des jungen Mannes liegt mitten in der Stadt, und als sie sagte, dass sie zufällig vorbeigekommen sei und Lust auf ein Bier und ein wenig Gesellschaft habe, klang dies durchaus plausibel. Vielleicht war es tatsächlich die Wahrheit. Vielleicht hatte sie auch noch andere Gedanken gehabt. Und vielleicht spielte es gar keine Rolle, machte keinen Unterschied mehr. Irgendwann saßen sie auf seinem hässlichen Sofa. Irgendwann redeten sie, irgendwann schwiegen sie. Irgendwann küssten sie sich. Irgendwann dachte der junge Mann an seinen Freund. Irgendwann nicht.
Während die Steine über die spiegelglatte Wasseroberfläche hüpfen, reden sie kaum ein Wort. Wenn man von oben auf das Wasser blicken würde, könnte man sein eigenes Gesicht sehen, könnte womöglich darin lesen. Der junge Mann ist froh, dass sie zwei, drei Schritte vom Ufer entfernt stehen.
Später setzen sie sich auf zwei der großen Steine, die wie hingestreut wirken. Zwischen ihnen liegen mehrere Meter, eine merkwürdig große Distanz, und wenn sie sprechen, müssen sie es sehr laut tun, damit sie sich verstehen können. Dem jungen Mann ist unwohl dabei, seine Gedanken in ungewohnt laute Worte kleiden zu müssen, doch es fällt ihm gleichzeitig schwer, näher zu seinem Freund hinzugehen. So klingt das wortkarge Gespräch, das sie führen, wie die Probe eines dramatischen Theaterstückes.
Der junge Mann versucht zu erklären, dass er sich verliebt habe und dass man seine Gefühle nicht lenken und kontrollieren könne. Sein Freund erwidert nichts darauf. Einen Blick in sein Gesicht vermag der junge Mann kaum auszuhalten.
Und jetzt?, fragt sein Freund. Der junge Mann antwortet mit einem Schulterzucken. Sollen wir einfach so tun, als wäre nichts gewesen? Sollen wir einfach weiterhin alle gemeinsam ausgehen, wie früher? Wieder gelingt ihm nur ein Schulterzucken. Wie habt ihr euch das vorgestellt? Nach einem weiteren Schulterzucken gibt der junge Mann zurück, dass sie sich überhaupt nichts vorgestellt hätten. Das dachte ich mir, sagt sein Freund. Dann schweigen sie wieder.
Schließlich steht sein Freund auf, geht zum Ufer und wirft wieder Steine auf den See hinaus. Der junge Mann tut es ihm gleich. Als er bemerkt, dass seine Steine meistens häufiger hüpfen als jene seines Freundes, gibt er sich absichtlich weniger Mühe und wirft die Steine weniger flach.
Ich mag die Intensität dieser Szene, die lastenden Gefühle und die Sprachlosigkeit.
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Oh, das freut mich sehr! Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
Herzliche Grüsse…
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Ich möchte gerade in keiner der drei Personen stecken – die fühlen sich wahrscheinlich irgendwie alle nicht unbedingt wohl.
Es ist erstaunlich, was du immer so aus „gefundenen Fotos“ machst.
Mit Gruß von Clara
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In den meisten Fällen (auch in diesem) muss ich passende Fotos zum Text finden… Und ja, gewisse Momente des Unwohlseins dürfte es in dieser Situation bei allen drei Beteiligten gegeben haben…
Vielen Dank dir fürs Lesen und herzliche Grüsse
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Es gibt soooo viele Frauen auf der Welt, es muss wirklich nicht die Freundin des Freundes sein…
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Hätte nicht müssen, nein, zumindest nüchtern und objektiv betrachtet… Vielen herzlichen Dank dir fürs Lesen, lieber Finbar…
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Und wenn, lieber Disputnik, dann bitteschön wie in Truffauts Jules und Jim…
Liebe Frühlingsgrüße vom Finbar
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Gleich so dramatisch? Nun denn 😉
Herzliche Frühlingsgrüsse zurück
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Wenn schon, dann schon… zu dritt!
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Das war’s dann mit der Freundschaft, denke ich.
Es wird immer zwischen ihnen stehen. Auch wenn der eine so ehrlich war und es sofort erzählt hat, anstatt es aus Feigheit, zu vertuschen.
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Ein Vertuschen wäre wohl in diesem Fall kaum möglich gewesen… Wer weiss, vielleicht war die Freundschaft so stark und hielt dem Ganzen – unter Erschütterungen – einigermassen stand…
Vielen lieben Dank dir fürs Lesen!
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