Für eine gemeinsame Lesung mit Sandkastenfreund Patrik Kobler in der alten Heimat entstanden fünf kurze Postkartentexte, die in einer Art Dialog mit Patriks fünf Postkarten ihren Weg auf die Bühne fanden.
Postkarte 2: Zeitlosigkeit
Lieber Patrik
Kennst du jene Menschen, die behaupten, sie hätten keine Zeit? Sie sind häufig kurzatmig, blicken sich nervös um, kratzen sich an der Schläfe oder machen andere hektische Bewegungen mit den Fingern, und dann sagen sie: Ich habe keine Zeit. Oder manchmal auch: Ich habe gar keine Zeit. Oder: Ich habe überhaupt keine Zeit. Als ob es für dieses Fehlen von Zeit eine Steigerung bräuchte. Als ob etwas, das nicht da ist, noch mehr fehlen könnte. Es ist ziemlich traurig, wenn die Zeit fehlt. Was hat man denn sonst noch? Man braucht sie doch, die Zeit. Jeder Atemzug braucht Zeit. Jedes gesprochene Wort braucht Zeit. Jeder Flügelschlag einer Krähe braucht Zeit. Jedes Kinderspiel braucht Zeit. Jede Umarmung braucht Zeit. Jeder Kuss braucht Zeit. Das Leben braucht Zeit. Sogar der Tod braucht Zeit.
Die Menschen, die keine Zeit haben, sind sie denn zeitlos? Natürlich nicht, Zeitlosigkeit umschreibt zumeist, dass etwas nicht an einen Moment oder eine Phase der Zeit gebunden ist. Zeitloses Design zum Beispiel, es ist weder futuristisch noch barock, es ist weder retro noch modern. Es ist zwar nicht sonderlich stilvoll, aber es hält dem Lauf der Zeit stand. Ich glaube nicht, dass Menschen, die behaupten, sie hätten keine Zeit, dem Lauf der Zeit standhalten können. Diese Menschen, sie waren nicht da, als die Krähe mit den Flügeln schlug. Sie waren nicht da, als die Kinder spielten. Sie waren nicht da beim Küssen und Umarmen und Leben. Ich glaube, früher oder später sehnen sie sich nach jener Zeit, die sie so häufig nicht zu haben glaubten. Doch dann ist es mitunter schwierig, diese Zeit noch zu finden. Denn auch die Zeit an sich ist nicht zeitlos.
Ich hoffe, du hast Zeit.
Herzliche Grüße
Postkarte 1 gibt’s hier.
Postkarte 3 gibt’s hier.
Postkarte 4 gibt’s hier.
Postkarte 5 gibt’s hier.
Eine Zusammenfassung aller zehn Postkarten gibt’s hier.
Einen Rückblick auf die Lesung gibt’s hier auf Patriks Blog.
wie wunderbar, besonders diese, aber auch die anderen postkarten sowie die idee.
lese ich sehr, sehr gern. 🙂
herzliche grüße von diana
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Das freut mich sehr! Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte, und herzliche Grüsse zurück!
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Ein wundervoller Text, lieber Disputnik, der die Hetze unserer Zeit aufs Korn nimmt und sich dafür Zeit läßt, denn sie ist da, mann/frau braucht sie nur zu nutzen
http://wortbehagen.de/index.php/gedichte/2017/august/zeit_verlieren
Lieber Gruß von mir
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Vielen herzlichen Dank, liebe Bruni!
Dein Text über die (vermeintlich) verlorene Zeit ist wunderbar…
Liebe Grüsse zurück
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Tja, verlorene Zeit, wie oft wird darüber geredet, also über das, was es gar nicht gibt 🙂
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Ein zeitlos wahrer Text. Schöne Idee von euch! Liebe Grüße 😊
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Oh, schön… Vielen lieben Dank dir!
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Wahre Worte … toll auf den Punkt gebracht.
Wir laufen der Zeit nach, um mit ihr Schritt zu halten, um möglichst bei allem dabei zu sein, weil wir ständig das Gefühl haben, dass uns die Zeit davonrennt und wir irgendwo zurückgelassen, abgehängt werden und der Zug ohne uns weiterfährt … das kann einem natürlich angst machen.
Liebe Grüße
Annie H.
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Man muss nur lernen Prioritäten zu setzen.
Ich muss nicht überall mittanzen nur weil alle meinen das zu müssen.
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Ja, so ist es! Der Meinung bin ich auch. Es müsste viel mehr Menschen geben, die überhaupt bereit wären, darüber ernsthaft nachzudenken …
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Wenn sie noch selbstständig denken können. Das ist bei denen meist nicht mehr der Fall. Sie rennen allen und jeden blindlings hinterher.
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Ja, weil sie sich nicht die Zeit nehmen, in sich selbst hineinzuhören (kostet ja auch Zeit!), um herauszufinden, was sie wirklich wollen, wer sie wirklich sein möchten; für die meisten scheint es wichtig zu sein, fremden Erwartungen entsprechen zu wollen, um ja nicht ausgegrenzt werden.
Denn das ist oft die Angst dahinter – zeige ich mein wahres Gesicht, ecke mich irgendwo an, dann werde ich vielleicht von den anderen nicht mehr akzeptiert, fallen gelassen; ergo, ich muss mich anders geben, damit ich irgendwo dazu passe. Diese Einstellung verhindert leider oft, dass man sich selbst treu bleibt. Aber ich denke, später, wenn man älter wird, kommt man selbst darauf – es braucht eben seine Zeit … 🙂
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Ich glaube nicht unbedingt das es am Alter liegt.
Ich bin noch nie mit der Masse geschwommen. Wenn mir etwas gefällt dann ja. Aber sonst, nee Danke.
Mein Sohn (15) tickt da genau so. Vielleicht weil wir es vorleben.
Unser Jüngster (12) schwimmt schon eher mit, obwohl er auch ab und an ‚aussteigt‘.
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Ich mache das auch so wie du; Wenn mir etwas gefällt, dann ja, sonst sicher nicht! Nur weil es alle machen; bin auch keine „Mitschwimmerin“ und die Massen… na ja… ich bin auch kein Herdenmensch … oder zumindest nicht so extrem, wie das so manche betreiben. Und wenn es mir zu viel wird, dann steige ich aus; so, wie das euer Jüngster macht 🙂
Ich denke auch, dass das, was die Eltern vorleben, auch auf die Kinder abfärbt.
LG
Annie H.
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Von uns sollte es mehr geben. 😊
LG, Nati
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Ja, das wär‘ mal was! 🙂 🙂
LG
Annie H.
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Die Angst davor, etwas zu verpassen, ja… Wahrscheinlich kommen wir der Zeit nicht näher, wenn wir rennen… Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte!
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Ja, so ist es … die Zeit scheint immer einen Vorsprung zu haben …
Gern geschehen & liebe Grüße
Annie H.
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Das ist so etwas typisches was sie im Alter bereuen werden.
Dieses rennen und hasten, immer spät dran. Schrecklich.
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Ja… Und schneller müde wird man sowieso… Herzlichen Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
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Gerne. ☺
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Ich habe keine Zeit ist ein furchtbarer, äußerst abgedroschener Spruch!
Was wirklich gemeint ist: ich will etwas anderes machen, was mit einer für mich höheren Priorität!
Liebe Wintergrüße vom Finbar
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Ja, absolut; wer keine Zeit hätte, könnte damit auch nichts anfangen… Vielen lieben Dank dir fürs Lesen und herzliche Grüsse zurück!
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Gerne 🌟
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