Sie ist ein Mann, er ist eine Frau, die Greisin mit ledriger Haut ist ein kleiner Junge ohne Flecken im Innern, und immer, wenn sie nackt vor dem Spiegel steht, denkt er an die Wörter, die man ihr an den Kopf wirft, und sie denkt an die Namen, die er sich selbst gibt, und es geht nicht um ihr Geschlecht, es geht nicht um seinen Körper, es geht nicht um die Jahrringe unter ihren Augen, es geht nicht um die Haare auf seinem Kopf oder in ihrem Schoss, es geht um Identität, es geht um Konformität, jeder ist anders, alle sind gleich, doch es ist nicht egal, es ist elementar, all die Bezeichnungen sind gesellschaftliche Korsette, er bekommt keine Luft, sie kann nicht atmen, jemand sollte das Fenster öffnen, doch niemand steht auf, und er verbleibt in der Inszenierung, sie spielt weiter ihre Rolle, weil alles eine Rolle spielt, was eigentlich keine Rolle spielen sollte, und weil sie es nicht anders kennt, und weil er es so gut kann, stellt sie sich auf Bühnen, er tritt mit einer Theatergruppe in kleinen Dörfern auf, sie tanzt in nebulösen Etablissements für Erwachsene, er spricht fremde Worte, sie verkörpert immer neue Figuren, er hüllt sich in immer neue Kleider, manchmal spielt sie einen alten Mann, manchmal spielt er ein kleines Mädchen, sie spielt mit den Charakteren, er spielt mit der Fantasie, doch sie weiß, dass er das Spiel nicht gewinnen kann, dass sie das Spiel verlieren wird, und nur weil alles eingeordnet wird, ist nicht alles in Ordnung, er ist keine Frau, er ist einfach er, und sie ist kein Mann, sie ist einfach sie, es wäre so einfach, doch so einfach ist es einfach nicht.
sich selbst nicht finden, oder sich finden und nicht dort sein, wo man sein sollte,
sich nicht wohl fühlen, weil die Haut anderes sagt…
Sich im Spiegel nicht erkennen, weil man ein anderer ist als der, den alle sehen…
Ein fatales „Spiel“, das bitterer Ernst ist und doch den Clown spielen,
den mitunter so traurigen, weil es das Einfachste ist…
Nur wenn Inneres mit dem Äußeren übereinstimmt, ist alles gut und richtig, doch wie oft ist es nicht so
und wir spielen unser Lebensspiel in einer Maske, bis es uns zerbricht – dieses bitterböse Spiel, das keines ist
und sich doch so benimmt…
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Ja, genau, das Spiel, das keines ist; die Masken, hinter denen sich kaum atmen lässt… Vielen Dank, liebe Bruni, fürs Lesen und für dein Weiter- und Tieferhineindenken…
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ein feines Vexierspiel…
ich mag Rollentausch,
wir machen das auch als „ganz normale Menschen“ jeden Tag zig mal, mal so, wieder zurück, mal anders, wieder zurück…
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Ja, Rollenspiele sind reizvoll, eben dann, wenn man wieder zurück kann, zurück zu sich selbst. Wenn das ganze Leben ein Rollenspiel ist, oder sein muss, dann tut das der Seele aber wohl nicht sonderlich gut… Vielen Dank, lieber Finbar, fürs Lesen und für deine Worte…
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Ja, so einfach ist das nicht, nicht wahr? Wenn man selbst nicht weiß, in welcher Schublade man sich wohlfühlen würde, hilft es nicht gerade, wenn alle anderen wissen wollen, in welche man gehört, oder einen gar in die eine oder andere einfach hineinstopfen wollen. Aber um die ganze Kommode hinter sich zu lassen, fehlt uns oft die Kraft und manchmal vielleicht auch das Vorstellungsvermögen, dass da was sein könnte außerhalb der Schubladen, ein ganzes Zimmer und außerhalb dessen eine ganze Welt voller frischer Luft.
Also zwängen wir uns in Schubladen, oder lassen uns von anderen hineinzwängen, oder zwängen andere.
Was auch nichts einfacher macht.
Ein sehr gedankenanregender Text 🙂
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Ja, die Sache mit den Schubladen… Die Kommode, sie ist so hartnäckig, steht so schwer und massiv in den Räumen… Wunderbar umschrieben und weitergedacht, vielen lieben Dank dir fürs Lesen und für deine Worte…
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Hat dies auf Palpitationen rebloggt und kommentierte:
Darf man sich ruhig einmal durch den Kopf gehen lassen. Finde ich.
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Denk-würdiges zum Wochenende! Wünsche dir ein ganz wunderbares.
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Gleichfalls! Und lieben Dank fürs Lesen und Denken und Würdigen…
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