Der Satz steht da, auf einem Stück Papier, das an der Wand hängt, ausgeschnitten aus der Modestrecke eines populärkulturellen Magazins, wo es seltsam unpassend wirkte, weitaus unpassender als hier an der Wand. «Bis ans Ende der Welt floh ich vergebens.» Ein Fragment aus «William Wilson», einer Geschichte von Edgar Allen Poe. Ein Zusammenhang des Satzes mit der Modestrecke will sich ihm nicht erschließen, auch sich selbst erkennt er darin nicht, die Geschichte von Edgar Allen Poe hat er nie gelesen, und dennoch hat er den Satz ausgeschnitten und aufgehängt. «Bis ans Ende der Welt floh ich vergebens.» Wovor floh William Wilson? Was war geschehen? Wer war ihm auf den Fersen? Oder war es gar keine Flucht, sondern vielmehr eine Suche, die Suche nach einem diffusen Etwas, nach einer Erfüllung, die es nicht geben konnte? Die Beantwortung solcher Fragen begänne mit eine anderen Frage: Wer war William Wilson? Doch diese Frage, er lässt sie ohne definitive und stichhaltige Antwort. Er hätte die Geschichte lesen können. Er hätte das Buch kaufen oder ausleihen und im warmen Licht einer kleinen Lampe mit einem Glas Rotwein in die Welt eintauchen können, die Edgar Allen Poe für William Wilson erdacht hatte. Er hätte sich informieren können, worum es eigentlich geht. Doch er tat es nicht. Zwar entging ihm dadurch wohl eine gute Geschichte, ihm entging ein Muster der Schreibkunst von Edgar Allen Poe. Und vor allem blieben die Fragezeichen bestehen, das Unbeantwortbare, das Ungewisse. Doch womöglich lag genau darin die Ursache seiner Weigerung, seiner Verweigerung. Vielleicht wollte er sich das Ungewisse bewahren, um es mit eigenen Gedanken und Fragmenten zu füllen. «Bis ans Ende der Welt floh ich vergebens.» Wäre dieser Satz eine Tür, er hätte durch sie ins Haus gelangen können, in diese definierten Räume mit klaren Strukturen und allen Möbeln an ihrem Platz. Oder hätte durch die Tür ins Freie treten können, hinaus auf das offene Feld, die grenzenlose Weite vor Augen und im Sinn. Er hat sich entschieden. Nun steht er auf der Wiese, die Grashalme kitzeln zwischen den Zehen. Er sieht sich um, zu allen Horizonten und darüber hinaus, sieht sich um und lächelt. Und hofft, dass Edgar Allen Poe nicht allzu enttäuscht ist, dass er seine Einladung ins Haus nicht angenommen hat.
so weit die Flucht
und doch vergebens…
Stimmt, der Satz bleibt hängen, irgendwo im Kopf hallt er nach
und doch entschied sich Er sich dafür, sich nicht genauer zu informieren, was es mit dem Satz denn nun wirklich auf sich hat. So sind seiner Fantasie keinerlei Grenzen gesetzt. Poes Geschichte steht fest, seine entwickelt sich vielleicht, während er in der Wiese steht und die Feuchtigkeit der Grashalme spürt.
Seine Gedanken blicken in die Weite, sehen fast bis ans Ende der Welt und hoch zufrieden fühlt er seine Füße erdverbunden an diesem einen und ach so feinen Fleck. Hier möchte er im Moment unger keinen Umständen weg und lesen möchte er auch nicht… warum auch…
Alles, was er braucht, ist um ihn herum.
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Liebe Bruni, wie schön weitergedacht und weitergeschrieben, vielen Dank dir… Und ja, wenn man auf der Flucht ans Ende der Welt gelangt, war die Flucht wohl tatsächlich vergebens, irgendwie… Nochmals lieben Dank dir…
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ja, ein beachtlicher satz, der irgendwie hängen bleibt,
bis ans ende der welt…
hoffentlich nicht
vergebens…
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Jaha, lieber Finbar, mir gefiel der Satz eben auch sehr gut, viel zu gut, als ihn lediglich in jener Modestrecke zu belassen…
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Vielleicht hänge ich mir den Satz auch auf, er gefällt mir ebenso gut wie der Text, den du drum herum geschrieben hast.
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Ja, tu das… Danke schön!
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Und doch öffnet diese Entscheidung, nicht zu lesen, mehr Türen, als sie verschließt.
Ein guter Gedanke, ein gutes Handeln.
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Vielen Dank dir… Obwohl es sich in der Regel durchaus lohnt, Poe zu lesen, überhaupt zu lesen. Doch manchmal lohnen wohl auch die Ausnahmen…
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Poe hab ich verschlungen.
Das ist aber gepflegt 25 Jahre her.
Wenn das Geschriebene etwas auslöst, einen eigenen Gedanken hervorbringt, dann muss man dem nachgehen.
Das hat Vorrang.
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Da mag ich in keinster Weise widersprechen… Vielen Dank dir nochmals fürs Lesen und für deine Worte…
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Ich glaube, Poe hätte das in Ordnung gefunden 🙂
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Dann bin ich ja beruhigt… Danke schön!
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