Gelegenheit macht Diebe, Gelegenheit macht Liebe, doch sie hat jede Gelegenheit verpasst, hat keine beim Schopf gepackt, und gelegentlich war sie so sehr in ihre Angelegenheiten verstrickt, dass sie die Gelegenheiten gar nicht als solche erkennen konnte, und all die Dinge, die man nur einmal im Leben macht, hat sie getan, ohne zu bemerken, dass es keine zweite Gelegenheit geben wird; manchmal kamen sie einfach ungelegen, manchmal dürfte es an äußeren Umständen gelegen haben, dass sie schweigend untergingen, doch meistens war da diese Beiläufigkeit, mit welcher sich die Gelegenheiten aneinanderreihten, während sie an ihnen vorüberglitt und sie hinter sich ließ, und die ersten Male, die wichtigen und prägenden, sie verloren sich im Getümmel der Angelegenheiten; der erste Kuss, der erste Sex, die erste Berührung, die unter die Haut reicht, das erste Gift in der Brust, der erste Schmetterling unter den Rippen, alles ist begraben unter den Fragmenten des Lebens, die sich unweigerlich auftürmen, und das einzige erste Mal, an das sie sich wirklich beständig zu erinnern vermag, ist die erste Reise in einem Flugzeug, und sie tut es wohl auch nur deshalb, weil dabei so viele Turbulenzen auftraten, dass sie sich übergeben musste und dabei die Spucktüte, nicht aber die Hose ihres Sitznachbarn verfehlte, doch seither mangelte es an Gelegenheiten, wieder ein Flugzeug zu besteigen, zu sehr war sie von ihren Angelegenheiten vereinnahmt, und überhaupt ließ sie kein Fliegen zu, kein Schweben, nicht einmal ein Springen, sie blieb stets mit beiden Beinen auf dem Boden, so auch jetzt, sie stellt sich vor den Spiegel, nackt und müde, betrachtet diese Frau, die ihr gelegentlich so fremd scheint, und dann schließt sie die Augen, denkt an die Turbulenzen im Flugzeug und an ihren Sitznachbarn, der wider Erwarten keineswegs verärgert war über das Erbrochene in seinem Schoss, sondern äußerst liebenswert und gutherzig, er kümmerte sich rührend um sie, bestellte ihr ein Wasser und strich ihr sogar eine Haarsträhne aus dem Mund, und dann überlegt sie, ob dies eine Gelegenheit gewesen wäre, aus welcher Liebe hätte entstehen können, sie sieht ihn vor sich, den Sitznachbarn, sieht sein Lächeln und die gepflegten Hände und diesen Blick, dem so viel Wärme innewohnte, doch dann öffnet sie ihre Augen und alles, was sie noch sieht, ist die Frau im Spiegel, und als sie einen leichten Ausdruck des Bedauerns zu erkennen glaubt, verfinstert sich ihre Miene, sie sagt der Frau unwirsch ins Gesicht, sie solle sich gefälligst um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, und natürlich tut sie, wie ihr geheißen, alles andere liegt ihr nicht sonderlich, und vielleicht stimmen die geflügelten Worte ja, vielleicht macht Gelegenheit Diebe, vielleicht macht Gelegenheit Liebe, doch wenn die Diebin sich selbst jeder Gelegenheit beraubt, sind die Flügel der Worte vollkommen nutzlos, der Flug wird gestrichen, und immerhin bleiben die Turbulenzen dann aus, aber ob das nun gut oder schlecht ist, mag sie nicht entscheiden, zumindest nicht jetzt, nicht zu diesem ungelegenen Zeitpunkt, vielleicht denkt sie dann später darüber nach, irgendwann einmal, bei Gelegenheit.
Gelegenheit beim Schopf genommen und eine Geschichte über die Gelegenheiten geschrieben, die so oft verpasst werden oder auch mal nicht, so oder so, Gelegenheit kommt immer mal wieder, nur gelegentlich nachsehen, ob da nicht schon wieder eine vor der Tür sitzt und sich grämt, weil sie scheinbar ungelegen kommt und nicht reingelassern wird…
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Liebe Bruni, vielen lieben Dank für deine Worte, die alles andere als ungelegen kommen, sondern wie immer sehr willkommen sind… Danke!
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klasse geschrieben…
da will ich hin…
thx
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Danke!
Aber wenn du bei dir bist, dann bist du längst da.
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da bin schon…
jetzt mag ich nur noch die zeit zu finden so zu schreiben…
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Bin froh, dass ich nicht alle Gelegenheiten verpasst habe!
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Ich auch, vor allem die guten und besten…
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Ich spreche nur von denen, Und wahrscheinlich sind sie mit ein Grund, dass weitere Gelegenheiten nicht verpasst wurden. Vielleicht öffnen gewisse gelebte Gelegenheiten die Organe.
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Bei Milz und Leber weiss ich’s nicht, aber bei Auge, Hirn und Herz klappt das gut, ja…
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Ich dachte in etwa an diese…
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Groß. Den hätte ich gerne geschrieben.
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Lieben Dank! Tja, die verpassten Gelegenheiten… Aber schreib doch einfach einen anderen, besseren.
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Man muss gönnen können 🙂
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