Man erschafft sich seine eigene Landschaft, und für Nichtgötter klingt das mühsam, strapaziös, doch eine Landschaftserschaffung ist eigentlich ganz einfach, man braucht keine teuren Gartengerätschaften aus dem Baumarkt und auch keinen Löffelbagger, man muss gar nicht viel tun, nur hinsehen, hersehen, herbeisehnen, sich hingeben, hineinbegeben, denn die Landschaft, sie beginnt immer dort, wo man selbst aufhört, und wenn man aufhört, sich Landschaften zu erschaffen, wird man blind im Innern, ein interner Maulwurf, was natürlich ungut ist, denn unter der Haut tun sich üppig bewachsene Flächen auf, Schlingpflanzen überall, da ist es gefährlich, wenn man nichts sehen kann, gefährlich und heikel und schrecklich und schrecklich traurig sowieso, denn ein Blick, er lohnt sich, am Kiosk wohl nicht, sonst aber immer, jeder Blick lohnt sich, der Lohn ist die Landschaft, die man sich erschafft, das Land schafft sich ab, doch die Landschaft, sie bleibt, im Kopf und im Herzen, im Blut und im Bauch, und irgendwie auch in der Milz und der Leber, in den Nieren, selbst wenn man vor lauter Empathie eine davon gespendet hat, und das Spenden, es ist wichtig, am Ende spendet man von vielem viel zu wenig, nicht zuletzt spendet man viel zu wenig Aufmerksamkeit, den Menschen und den Dingen, auch den Landschaften, die ohne gespendete Aufmerksamkeit kaum leben könnten, sie würden zu leblosen Gebilden werden, wie eigentlich jedes Ding und jeder Mensch zu einen leblosen Gebilde wird, wenn wir ihm die Aufmerksamkeit verweigern, und so was geht natürlich an die Nieren, und dort, bei den Nieren, dort waren wir ja bereits, die Nieren sind ebenfalls essenziell, überaus lebenswichtig, und man muss sehr viel trinken, um die Nieren und sich selbst am Leben zu halten, eigentlich muss man sich das Leben stetig ertrinken, und wenn wir dem Trinken entsagen, dann trocknen wir aus und zerfallen zu Asche, zu Asche und Staub, zu Staub, und dann versinken und versickern wir in der Erde, in der Landschaft, werden ein Teil von ihr, ein Teil jener Landschaft, die wir früher stets in uns erschaffen haben, doch auch die Landschaften müssen trinken, sonst welken, verwelken sie, gehen an der Dürre zugrunde, und wenn sie lächeln könnten, die durstigen Landschaften, sie würden es tun, sobald der Regen fällt, auch wenn jeder Regenschauer schaurig an Tränen erinnert, und man sagt dann auch häufig, dass der Himmel weint, doch niemand käme auf die Idee, ihn zu fragen, weshalb er es tut, weshalb er denn traurig sei, und egal, wie viele Nieren man spendet und wie groß man das Wort Empathie auf seine Fahnen geschrieben hat, bei Regen hängen diese Fahnen schlapp von den Stangen, die Buchstaben in den Falten verschwunden, und den Himmel, den lässt man einfach weinen und enerviert sich sogar noch, wenn er es zu lange oder zu falschen Zeiten tut, weil es nicht dem subjektiven Sollzustand entspricht, was überhaupt häufig der Grund ist, weshalb wir uns in Dispute fügen oder zitternd zetern, eben die Tatsache, dass der subjektive Sollzustand sich nicht einstellen mag, dass gewisse Dinge nicht in die eigene Landschaft passen, und manchmal weint man deshalb, weint dabei lieber mit dem Himmel als gegen ihn an, denn wenn die Sonne gar schrecklich hell und sommerlich arrogant in den Tag scheint, fällt das Weinen viel schwerer, ist noch deplatzierter als sonst, also schließt man sich ein, schließt die Welt gänzlich aus, schließt die Luken, schließt die Vorhänge, schließt die Jalousien, schließt die Fensterläden, und schließlich weint man im Dunkeln, vielleicht noch im spärlichen Licht einer einsamen Kerze, aus dramaturgischen Gründen und für ein wenig mehr Pathos, man weint in ein Weinglas, und der Wein, er wird wässrig, der Wein, er wird fad, aber das ist egal, wie so vieles egal wird, wenn wir weinen, wenn wir trauern und hadern, und wenn’s uns schlecht geht, darf auch der Wein schlecht sein, muss es vielleicht, denn guter Wein will gutes Sein, will gutes Leben, und sei’s nur in Fragmenten, in Momenten, den kleinen großen Augenblicken, die den großen Mist des Lebens kleiner machen und weniger stinken lassen, und dieser große Mist, der unter unserer Haut liegt und ungut riecht, er lässt die Schaffung von inneren Landschaften oftmals zur Odyssee werden, zu einer Reise ohne Ende, und wir, wir sind die Wanderer, mit gestärkten Hemden und zerfledderten Wanderschuhen stolpern wir über Steine und Wurzeln, über die Wurzeln allen Übels und die Wurzeln unserer selbst, und wenn sich alle nach dem Tod zu Erde verwandeln und aus dieser Erde dereinst wieder Wurzeln sprießen und wir über diese Wurzeln stolpern, dann ist es doch denkbar, dass wir über unsere Ahnen straucheln, bei einem Waldspaziergang vielleicht, leise ein Lied pfeifend, ein altes aus Urgroßmutters Zeiten, und plötzlich, bei einem kleinen Gefälle, bleibt ein Fuß an einer vorstehenden Wurzel hängen, und womöglich steckt irgendwo in dieser Wurzel drin noch ein Teil der Urgroßmutter, die vor Jahrzehnten verstarb und zur Erde sich wandelte, und das wäre sehr seltsam, eine bizarre Begegnung und doch sonderbar schön, ein kaum möglicher Zufall, aber eben doch denkbar, denn sehr vieles ist denkbar, fast alles, und nicht selten ist man für das Denkbare dankbar, etwa dann, wenn es alles ist, was noch bleibt, denn das Denkbare bleibt tapfer und zäh, bleibt unverdrossen unbeirrt, wenn die Realität uns längst ihre Grenzen gezeigt hat, und die Grenzbeamten, ganz eifrig und rührig, sie stehen am Zoll, mit ernsten Gesichtern und verstaubten Uniformen, sie verweigern die Durchfahrt, weil sie müssen, weil Gesetze sie zwingen, doch selbst dann wäre es noch denkbar, dass wir die Schwerkraft besiegen und uns einfach erheben, in die Schwebe begeben und sie überfliegen, über das Zollhaus und über das Zeughaus und über die Landschaften, denn fast alles ist denkbar und vielleicht auch das Fliegen, selbst wenn man sich mit solchem Denken in denkbar gefährliche Nähe zu taschenbuchphilosophischem Kitsch begibt, und wenn die Alarmleuchte blinkt und uns Armleuchter schimpft, dann machen wir kehrt und wechseln das Thema, das können wir gut, meistens reicht uns ein Wort, ein Wort wie Fraktur, ein Wort wie Konzil, wie Sexualität oder Stil, und schon wird alles neu, ein neuer Rahmen, in den wir unsere Denkweisen kleiden, eine weiße Leinwand, auf die wir eine neue Landschaft malen können, denn man erschafft sich seine eigene Landschaft.
Dieser Text ist einer von drei Teilen eines Beitrages für die Ausstellung «Annäherung an deine Landschaft – Kollektive und individuelle Topografie» des Museums Zeughaus Teufen.
Tagtraum! Und jetzt mal ehrlich. Eigentlich wollte ich nur die Dankbarkeit ausdrücken, die ich in diesem Moment empfand. Dankbar, diese Familie zu haben, Teil davon zu sein. Und ja, ich war stolz auf dich, wie du da vorne der Welt deine Sicht einer Landschaft näher gebracht hast.
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Dankbarkeit, ja. Auch bei mir. Für unsere Landschaft, unsere Welt. Und für deine Dankbarkeit.
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Eine Landschaft, ja. Sind wir. Unsere subjektive Wahrnehmung eines Raums als ästhetische Ganzheit.
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*!*!*!*
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Wollte nicht anonym sein. Stehe zu meiner Aussage….
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Nach was bitteschön sieht es dann aus? Du siehst aber, wie ich dich mit meinem Blick regelrecht entkleide? Wenn nicht, dann siehst du zumindest die Zufriedenheit und die Dankbarkeit?
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Ja, jetzt sehe ich’s auch, natürlich seh ich’s. Danke! (War nur ein wenig abgelenkt von einer Dame auf den Bildern, die offenbar eingeschlafen war…)
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Wie weisst du, dass sie wirklich schläft und nicht träumt?
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Hmm… Tagtraum oder Tiefschlaf?
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Und ich hab dem Künstler in die Augen geblickt. Bin tief in seine Landschaften abgetaucht. Und wieder aufgetaucht.
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Danke! Fürs Eintauchen und Auftauchen.
Obwohl’s auf den Bildern hier nicht nach Tauchen aussieht:
http://www.tposcht.ch/fotos/alben-2012/landschaften-im-zeughaus/
http://www.tposcht.ch/news/besucherandrang-an-der-vernissage-im-zeughaus/
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